Warum ist Nachhaltigkeit für Unternehmen wichtig? Ein Interview mit Max Schulze, Gründer der Sustainable Digital Infrastructure Alliance e.V.

Data center with multiple rows of fully operational server racks

Was ist die Sustainable Digital Infrastructure Alliance e.V.

Die Sustainable Digital Infrastructure Alliance e.V. (kurz SDIA genannt) versteht sich als europäische Plattform, um eine nachhaltige digitale Wirtschaft zu schaffen. Die SDIA ist eine unabhängige Allianz aller Interessengruppen, die im gesamten digitalen Sektor tätig sind, und setzt sich dafür ein, die Roadmap für eine nachhaltige digitale Infrastruktur bis 2030 umzusetzen.  Gründer des Vereins ist Max Schulze, der uns freundlicherweise in einem Interview Rede und Antwort stand. In unserem Gespräch geht es darum, warum Nachhaltigkeit generell ein hohes Gut ist, welche Kriterien an nachhaltige Rechenzentren gestellt werden und ob die Cloud aus Sicht der Nachhaltigkeit sinnvoll ist.

 

 

 

Warum ist Nachhaltigkeit für Unternehmen wichtig?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir erst mal mit dem Wort anfangen. Zuerst mal ist das Wort Sustainability im Englisch, das im Moment in aller Munde ist, vom deutschen Wort Nachhaltigkeit abgeleitet. Ein Unternehmen agiert "nachhaltig" wenn es die Bedürfnisse der Menschen (Mitarbeiter, Gesellschaft, Kunden), Umwelt (Natur, Ressourcen) und die wirtschaftlichen Interessen in Balance bringt, also gleichermaßen betrachtet.
Das Ziel der Weltgemeinschaft - der United Nations - ist die "nachhaltige Entwicklung" unserer Gesellschaft(en) und Wirtschaft - eine Entwicklung die unseren Planeten so für die nächste Generation, unsere Kindern, hinterlässt wie man sie vorgefunden hat.
Persönlich kommt daher wahrscheinlich auch meine Begeisterung für das Thema - meine Mutter hat das selbe zu mir im Bezug auf Ordnung in der Küche gesagt "bitte hinterlasse sie so wie du sie vorgefunden hast".
Warum ist es also für Unternehmen wichtig? Einfach: Wer nicht nachhaltig wirtschaftet wird in den nächsten Jahren schwer unter Ressourcenpreisen (auch Energie) leider (denn die Umweltkosten werden mehr und mehr von Ländern eingepreist)  aber auch unter Mitarbeitern die Unternehmen verlassen die nicht nachhaltig handeln und Kunden die sich nachhaltige Produkte entscheiden. Es gibt also viele gute Gründe sich zu überlegen wie man nachhaltig wirtschaftet, z.B. Produkte in einem Kreislauf zu bewegen, oder bei der Herstellung auf Wiederaufbereitung zu setzen.
Aus meiner Sicht liegt das eigentlich in der DNA der deutschen Wirtschaft. Schaut man sich die Wikipedia Seite für den Begriff "Mittelstand" in Englisch an, sieht man eine Charakterisierung die auch gut zu einer Nachhaltigkeitsperspektive passt, z.B. "Long-term focus, Independence, Investment into the workforce, Social responsibility, Strong regional ties".

Welche Vorteile kann Nachhaltigkeit für Unternehmen im Wettbewerb bieten?

Wir sehen es ja schon bei den globalen Lieferketten, Materialen und Teile sind auf einmal nicht mehr lieferbar. Unternehmen die regional Ressourcen beziehen, oder auf Wiederaufbereitung setzen oder Produkte in einem Kreislauf bewegen sind viel weniger möglichen Lieferschwierigkeiten ausgesetzt.
Auch auf der Produkt-Seite sieht man das Konsumenten immer mehr zu nachhaltigen Produkten greifen und dafür auch bereit sind mehr zu bezahlen. Leider neigen viele Hersteller weiterhin zu "green washing" und Falschangaben, das wird sich durch Regulatorik in den kommenden Jahren aber schnell verbessern. Die Diskussion rund um die Sinnhaftigkeit von Grünstromzertifikaten und CO2-Kompensation (z.B. Bäume pflanzen) ist z.B. schon in vollem Gange.
Beim Einkauf wird es besonders wichtig auch die eigenen Lieferanten auf das Thema aufmerksam zu machen, denn z.B. mit der neuen EU Corporate Social Responsibility Directive sind viele Unternehmen jetzt dazu verpflichtet Ihre Umweltwirkungen offen zu legen (nicht nur CO2 aus Energieverbrauch oder Reisen, sondern auch den sog. Scope 3 - also die Emissionen und Umweltwirkung aus der eigenen Lieferkette). Hier ist es wichtig das alle Lieferanten in der Lage sind diese Informationen zu liefern (oder wenn man eben selber Zulieferer ist, das auch zu können). Das ist natürlich auch eine Chance sich gegenüber Kunden zu differenzieren und sich für nachhaltiges wirtschaften belohnen zu lassen.

Inwieweit hat die Wahl eines Rechenzentrums Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit eines Unternehmens?

Heute hat jedes Unternehmen seine eigene IT Infrastruktur, und diese Infrastruktur zählt eben auch zum Umwelt-Fußabdruck eines Unternehmen und wirkt sich auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter und oft auch Kunden aus. Daher ist die Wahl der Lieferanten, Rechenzentrumsanbieter und IT Partnern aus meiner Sicht besonders wichtig.
Gerade in der IT werden Umweltwirkungen oft auf Energie reduziert (insbesondere weil das durch die US Cloud Anbieter konstant hervorgehoben wird), dabei steckt der Großteil der Ressourcennutzung und Umweltbelastung natürlich in der IT Hardware - Server, Laptops, Endgeräte, etc. Auch das Rechenzentrumsgebäude, die Elektro- und Kühltechnik wirkt sich auf diese negative Umweltbilanz aus.
Natürlich verbraucht ein Rechenzentrum auch viel Strom, aber auf den Emissionsgehalt des Stroms hat das Rechenzentrum kaum einen Einfluss - es sei denn es produziert selbst erneuerbare Energie (z.B. durch Solar-Anlagen auf dem Dach oder durch die Integration mit einer Biogasanlage) - denn der Strom wird durch Kraftwerke in der Nähe erzeugt, die nicht zum Rechenzentrum gehören. Stand Heute kaufen fast alle Rechenzentren Grünstromzertifikate; das Augenmerk als Kunde sollte aber eher auf die Ressourcenverbräuche gelegt werden, dazu in der nächsten Frage noch etwas mehr.

Was sind die wichtigsten Faktoren, die Unternehmen bei der Auswahl eines Rechenzentrums berücksichtigen sollten?

Das wird eine lange Liste 🙂 Wichtig ist und bleibt das Thema Abwärmenutzung, das Rechenzentrum kann zwar nicht viel zum Emissionsgehalt des Stroms beitragen, aber es kann die Energie zumindest wieder in die Gesellschaft zurückführen, in dem die Abwärme verkauft und genutzt wird. Damit wird das Rechenzentrum im Prinzip zum Durchlauferhitzer. Und insbesondere in der aktuellen Gas-Debatte ist das Thema wichtiger den je.
Als zweites kommt die Auslastung ins Spiel und die Geschäftsmodelle, die dahinter stehen. Strom sollte nicht als „Flatrate“ mitverkauft werden sondern die Verbräuche in kWh dem Kunden gegenüber transparent gemacht werden (sonst gibt es ja keine Motivation Strom zu sparen). Das Rechenzentrum sollte schauen das die Infrastruktur optimal ausgelastet ist und Kunden motivieren Überkapazitäten und Leerstände zu reduzieren.
Und dann der Punkt der Ressourcenverbräuche - es gibt nicht endlos Kobalt, Lithium, Gold, Platin, und viele andere Erden und Metalle auf dem Planeten, ganz zu schweigen von der Art und Weise wie sie aus dem Boden geholt werden. Rechenzentrum müssen Reparatur, Wiederaufbereitung von Systemen fördern und sollten Kunden auch Dienstleistungen bereitstellen um z.B. IT Server und Equipment zu reparieren oder zur Zweitverwertung weiterzugeben. Elektroschrott sollte unter allen Umständen vermieden werden. Die Lebenszeit von IT Infrastruktur und RZ Infrastruktur muss so lange wie möglich verlängert werden.

Was sind die Vor- und Nachteile von Public- und Private-Cloud-Betreibern aus nachhaltiger Sicht?

Die Begriffe finde ich immer schon irreführend. Ich würde eher sagen es gibt globale Cloud Infrastruktur Anbieter und nationale/regionale Anbieter von Cloud- bzw. verbrauchsbasierter/elastischer IT Infrastruktur. Das Prinzip der Cloud bzw. von Virtualisierung ist erst mal gut: Kein Kunde hat einen physischen Server der dann nur 10% ausgelastet ist, aber auch nicht anderweitig benutzt werden kann. Cloud Infrastruktur und Virtualisierung ermöglichen es erst mal sehr viel Verschwendung in der IT Infrastruktur zu lösen - man braucht ingesamt also weniger Server, weniger Ressourcen und weniger Energie.
Leider basiert das Geschäftsmodell der großen, globalen Cloud Infrastruktur Anbietern auf einem Ressourcenverkaufsmodell, ergo desto mehr virtuelle Maschinen, Speicher und Netzwerkkapazität verbraucht werden, desto mehr Geld wird verdient. Das ist nicht nachhaltig, und sorgt dafür das die Anbieter durch „bundling“ mit Cloud Dienstleistungen z.B. versuchen noch mehr Ressourcenverbrauch zu fördern, durch Gutscheine zu locken und Unternehmen dabei helfen einfach noch mehr Applikationen zu bauen - alles um mehr digitale Ressourcen (Rechenleistung, Speicher, Netzwerkbandbreite) zu verkaufen.
Hier unterscheiden sich die regionalen und nationalen Anbieter oft da sie an vielen Stellen auf ein Service-Modell setzen welches nicht direkt an den Verbrauch von Ressourcen geknüpft ist, z.B. die Bereitstellung einer funktionierenden Webseite oder einer funktionierenden Kollaborationsplattform. Der Anbieter wird für die Bereitstellung der Leistung bezahlt und zwar unabhängig von der Ressourcenkosten. Das schafft eine Motivitation die Leistung mit so wenig Ressourcenaufwand wie möglich bereitzustellen - denn das erhöht die wirtschaftliche Profitabilität.
Mal ganz abgesehen davon, im Sinne einer Donut-Wirtschaft: Ein regionaler Anbieter zahlt Steuern in der Region, schafft Arbeitsplätze, bietet Service in der lokalen Sprache und bildet die nächste Generation von Fachkräften in der Region aus. Das macht keiner der globalen Akteure - warum also Infrastruktur und Ressourcen von Unternehmen einkaufen die kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben und auch sich nicht positiv in die eigene Region einbringen? Denn am Ende ist Cloud Infrastruktur, egal ob Public oder Private eben Infrastruktur und diese sollte regional bzw. national ausgelegt werden - wie das Stromnetz es schon lange ist.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre Cloud-Lösungen nachhaltig sind?

Eigentlich ganz einfach: Transparenz einfordern - sowohl zu den ganzheitlichen Umweltwirkungen als auch der operativen Praxis des Unternehmens.
Wir haben dazu eine ganze Liste von Kriterien veröffentlicht, im Sinne einer Kennzeichnung für nachhaltige Cloud Infrastruktur.
Wer diese Liste beachtet und von seinen Anbietern einfordert ist schon mal auf einem guten Weg in die richtige Richtung.
Viele der Kriterien lassen sich besonders durch gute operative Praxis umsetzen und durch eine starke Regionalität, z.B. durch die Integration des Rechenzentrums in das Energiesystem der Region. Im Moment bewegen wir uns noch sehr stark auf der Umweltseite In der Nachhaltigkeitsdebatte, aber auch Themen wie die Wartbarkeit, Anwenderfreundlichkeit, Mitarbeiterzufriedenheit sollten langfristig in die Evaluierung von nachhaltigen Cloud Lösungen einfließen.

SDIA Gipfel am 13. März in Düsseldorf

Die Sustainable Digital Infrastructure Alliance e.V. (SDIA) veranstaltet ihren ersten Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsgipfel im regionalen Kontext. Der Summit wird am 14. März 2023 im Place to be Forty Four in Düsseldorf durchgeführt. Teil des Gipfels sind Podiumsdiskussionen, an denen neben ScaleUp Technologies und uns auch Unternehmen wie Lufthansa Industry Solutions, Airbus, die Deutsche Beteiligungs AG und TCO Certified teilnehmen werden. Wer dabei sein möchte, kann sich hier anmelden.